Bad Hindelang (dk). Der Schrecksee in den Allgäuer Hochalpen ist ein besonders schützenswertes Bergidyll. Davon überzeugte sich jüngst eine Gruppe des Zentrums Naturerlebnis Alpin im Allgäu, kurz Alpinium. Der Ortstermin in 1.813 Höhenmeter mit Vertretern der Gemeinde, der Eigentümer sowie der Unteren Naturschutzbehörde hatte einen guten Grund: Bad Hindelang hat den Förderbescheid und somit grünes Licht für das auf zwei Jahre festgesetzte Pilotprojekt „Naturschatz Allgäuer Hochalpen – Innovatives Besuchermanagement zwischen Berg und Tal“ von der Regierung von Schwaben erhalten. Für die Gesamtausgaben in Höhe von 486.220 Euro erhält die Marktgemeinde einen Zuschuss von 388.976 Euro, das entspricht 80 Prozent des Gesamtbetrags. Die neue Landschaftspflege- und Naturparkrichtlinie – die unter anderem Vorhaben zur naturverträglichen Besucherlenkung und Maßnahmen zum besseren Naturverständnis fördert –, erlaubt jetzt auch Antragsstellern außerhalb von Naturparks, Fördergelder im Bereich der Besucherlenkung zu beantragen. Das bewilligte Budget beinhaltet nebst weiterem die Stelle einer Projektleitung, die Installation einer Mess-Sensorik sowie die Rekrutierung von ehrenamtlichen Naturscouts. Das Projekt ermöglicht es, Wege in sensiblen Biotop- und Naturbereichen zurückzubauen oder Wanderern eine Wegführung vorzugeben. Erste Maßnahmen werden im Naturschutzgebiet Allgäuer Hochalpen und im gesamten Gemeindegebiet umgesetzt, sofern die Flächen biotop-kartiert sind und als naturschutzfachlich relevante Bereiche gelten. Konkret geplant ist, ausufernde Pfade in biotop-kartierten Bereichen auf der Route zum Schrecksee zurückzubauen und eine klare Wegeführung vorzugeben – ohne den Charakter des alpines Steiges zu verändern. Ein Weg am See-Ufer soll stillgelegt, der andere verbessert werden.
„Das Pilotprojekt bietet uns eine weitere gute Gelegenheit an dem Thema gezielt zu arbeiten, die Allgäuer Hochalpen noch stärker zu schützen und die Wanderer und Radfahrer zu sensibilisieren. Im Lebensraumkonzept ‚Unser Bad Hindelang 2030‘ haben wir uns zum Schutz von Klima, Luft und Natur verpflichtet – zum Erhalt unserer Umwelt und für eine hohe Lebens- und Urlaubsqualität. In diesem Sinne konnten wir am Wanderer-Hotspot Schrecksee zwar gemeinsam mit dem Landratsamt und der Polizei Müllentsorgung und Vandalismus seit 2019 deutlich reduzieren, haben nun aber mit diesem Projekt die Möglichkeit noch umfangreichere Maßnahmen zu ergreifen“, sagt die Bad Hindelanger Bürgermeisterin Dr. Sabine Rödel.
Das Alpinium unterstützt das Bad Hindelanger Projekt federführend. Als staatliches Kompetenzzentrum für Naturschutz in den Alpen entwickelt das Expertenteam modellhafte Lösungen für das Zusammenleben von Mensch und Natur im Allgäu. Alpinium-Leiter Ethelbert Babl unterstreicht die Wahl der Marktgemeinde Bad Hindelang als Standort für das Pilotprojekt: „Bad Hindelang ist auch ein Hotspot der Artenvielfalt, das Naturschutzgebiet Allgäuer Hochalpen mit rund 21.000 Hektar zudem das zweitgrößte Naturschutzgebiet in Bayern. Der Projekttitel Naturschatz passt sehr gut – in den Allgäuer Hochalpen von Bad Hindelang gibt es besondere Naturschätze, zum Beispiel das größte Vorkommen von Birk- und Schneehühnern in Deutschland“, sagt Babl und fügt hinzu: „Hauptziel des Projekts ist es, diese Einzigartigkeit zu schützen und Wanderer zu sensibilisieren. Einfach wird das nicht – der Besucherdruck ist hoch. In den Hauptmonaten August und September anno 2022 haben wir 8.500 Personen am Schrecksee gezählt, in demselben Zeitraum 2021 unglaubliche 15.600 – diese Zahlen müssen wir unbedingt kanalisieren.“
Einen engen Austausch gibt es seit längerer Zeit mit Grundstückseigentümern, Jägern und Alpbetreibern. Grundbesitzer und Revierinhaber Hubert Stärker, Werner Sill von der Hochwildhegegemeinschaft sowie Oberalpmeister Florian Braunsch sind bei der Pressekonferenz zur Förderbescheid-Übergabe vor Ort.
Hubert Stärker, als ein wesentlicher Vertreter der Grundbesitzer, lobt und unterstützt die proaktive Initiative von Gemeinde, Landratsamt und Alpinium: „Wir sind vom ersten Tag mit eingebunden – und das ist im Sinne der künftigen Planung gut so. Wir sind ja nicht nur Eigentümer, sondern auch Bewirtschafter. Diese Landschaft ist durch menschliche Arbeit in Jahrhunderten entstanden und von Menschen gepflegt worden. Das Zusammenspiel zwischen Grundbesitzern, Alpwirtschaft, Forstwirtschaft, Jagd, der Gemeinde, dem Landratsamt und dem Alpinium in dem Projekt ist eine große Chance. Gemeinsam müssen wir dazu beitragen, den Schutzstatuts aufrechterhalten – die Tiere brauchen mehr Ruhe und Luft zum Atmen. Wir sollten auf Aufklärung anstatt auf Verbotstafeln setzen.“
„Der Tourismus ist aus unserer Region nicht wegzudenken, deshalb ist es klug und richtig, nach Lösungen für Gäste und Einheimische zu suchen, die das Naturerleben ermöglichen, ohne, dass unsere einzigartige Kulturlandschaft durch die Besucherströme über Gebühr in Mitleidenschaft gezogen wird“, sagt die Oberallgäuer Landrätin Indra Baier-Müller und lobt ebenfalls die enge Zusammenarbeit aller Beteiligten: „In Bad Hindelang ist es gelungen, ein gemeinsames Projekt zu initiieren, bei dem alle Akteure und Verantwortungsträger im Hinblick auf ein gemeinsames Ziel partnerschaftlich handeln. Ich denke, das sind die besten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung des Vorhabens. Ich wünsche allen Beteiligten ein glückliches Händchen bei der Umsetzung.“
Der Leitlinie für einen umfassenden Naturschutz – nicht nur am Schrecksee, sondern im gesamten Gemeindegebiet – hat sich Bad Hindelang in dem Lebensraumkonzept „Unser Bad Hindelang 2030“ verpflichtet. In dem Lebensraumkonzept – das auf einer umfassenden Bürgerbefragung und -beteiligung basiert – geht es im Kern um die richtige Balance zwischen den Bedürfnissen der Menschen – Einheimischen und Gästen – sowie dem Schutz und Erhalt der Natur.