Bad Hindelang (dk). Welche Perspektiven und Alternativen für den Wintertourismus bei ausbleibendem Schnee gibt es? Wie viel Tourismus verkraftet die Natur in den Alpen und ab wann ist das Ökosystem gefährdet? Diese und weitere Fragen zu den Themen Klimawandel, nachhaltiger Tourismus und Energie diskutierte ein internationales Expertenforum in Fachvorträgen und interaktiven Workshops in Bad Hindelang (Allgäu). Zu der Fachtagung des Gemeindenetzwerks „Allianz in den Alpen“, das aus mehr als 300 Gemeinden und Regionen besteht, reisten mehr als 100 Teilnehmer aus sechs Ländern an. Die Veranstaltung stand unter dem Motto: „Schneesicher? Sicher nicht!“
„Eine Blaupause für die entscheidende Strategie gibt es nicht, das hat die Fachtagung gezeigt. Es sind individuelle Konzepte für einen tragfähigen Tourismus gefragt – womöglich eine Nutzungsordnung in besonders beliebten Gebieten. Extrempositionen vermeiden wir nur, wenn wir die Bürger in die Debatte mit einbeziehen – Bad Hindelang zeigt mit einem eigenen Lebensraumkonzept, wie es funktionieren kann“, sagte Katharina Gasteiger.
Die Geschäftsführerin des Netzwerks „Allianz in den Alpen“ plädierte für eine Transformation mit Bedacht und Weitblick: „Wir können nicht Schnee produzieren, bis die Bäche leer sind, wir können aber auch nicht alle Lift- und Ski-Anlagen – die unsere Existenzen sichern – von heute auf morgen abstellen. Das Gebot der Stunde ist, neue Standbeine aufzubauen, andere Branchen mit einzubinden sowie den Ganzjahrestourismus so zu stärken, dass unser größtes Kapital, der Naturraum, ebenso erhalten bleibt, wie unsere Gäste.“
„Die Studienlage ist sich einig – der Klimawandel wird sich maßgeblich auf die Zukunft der alpinen Tourismusregionen auswirken. Umso wichtiger ist es insbesondere im Tourismus, ökologisch und ökonomisch verantwortlich zu handeln“, sagte die Bürgermeisterin von Bad Hindelang, Dr. Sabine Rödel in ihrer Rede und rückte zuallererst die heimische Alpwirtschaft in den Mittelpunkt: „Ohne die Bergbauern und Älpler beziehungsweise Almbauern gäbe es vermutlich keinen Tourismus, denn die Alpen wären bewaldet und düster. Exakt diese charakteristischen Bilder von einer offenen intakten alpinen Kulturlandschaft und bunten Blumenwiesen sind der Grund, dass Gäste zu uns in die Alpen kommen. Es geht also nicht nur um den Schutz von Klima, Luft und Natur, es geht unter dem sozialen Aspekt auch um die Menschen vor Ort, um den Lebensraum und insbesondere um die Stärkung der Kleinstrukturen vor allem in der Berglandwirtschaft sowie Alp- und Almwirtschaft.“ Weil Pisten, Loipen und Wanderwege in Bad Hindelang zumeist auf den Flächen der Kulturlandschaft liegen, ist für die Bürgermeisterin die Zielrichtung vorgegeben: „Natur- und sozialverträglichen Tourismus kann es nur mit einem Schulterschluss zwischen Landwirtschaft, Naturschutz und Tourismus geben.“
Das Miteinander von Landwirtschaft und Natur regelt seit 1992 das Ökomodell Hindelang, das der Vorsitzende des Vereins „Hindelang – Natur & Kultur“, Georg Rädler, innerhalb der Fachtagung vorstellte. Die 60 Bergbauern im Verein verpflichten sich, sämtliche Flächen in den sechs Ortsteilen äußerst naturnah zu bewirtschaften und auf Herbizide und Pestizide sowie Kunstdünger komplett zu verzichten.
Das „Ökomodell Hindelang“ sowie das Immaterielle Kulturerbe der „Hochalpinen Alpwirtschaft“ sind zugleich die Grundpfeiler für das Lebensraumkonzept „Unser Bad Hindelang 2030“, das Bürgermeisterin Dr. Sabine Rödel gemeinsam mit Tourismusdirektor Maximilian Hillmeier auf der Veranstaltung vorstellten.
„In dem Lebensraumkonzept mit Tourismusstrategie haben wir unsere nachhaltige und umweltorientierte touristische Ausrichtung fix festgeschrieben. Es gibt uns seither die Richtung vor und ist somit unser roter Faden für politische und touristische Entscheidungen. Eine herausragende Stellung nehmen darin die Bad Hindelang PLUS-Karte mit inkludiertem Ski- und Rodelpass und insgesamt 45 Erlebnisangeboten sowie die Mobilität rund um die innovative Lösung ‚EMMI-MOBIL‘ ein. Zwei entscheidende Bestandteile, dass sich Urlaubsgäste bei uns wie zu Hause fühlen können. Sie stellen zugleich einen sehr großen Wettbewerbsvorteil für unsere Gastgeber in Zeiten der Inflation und gestiegenen Preissensibilität sowie eine starke Kooperation zwischen dem Tourismus und den Bergbahnen dar – insbesondere während der Wintersaison“, sagte der Bad Hindelanger Tourismusdirektor Maximilian Hillmeier.
Um mittelfristig für ein optimales Schnee-Management auf Skipisten, Loipen und Winterwanderwegen zu sorgen, Alternativen in Form von ganzjährigen Erlebnisangeboten zu schaffen und den Interessen der Einheimischen und Gäste gerecht zu werden, arbeitet Bad Hindelang seit vielen Jahren eng mit der benachbarten Ferienregion Tannheimer Tal/Tirol zusammen. In einem 2023 gestarteten neuen Projekt geht es nun unter anderem darum, Lösungen zu finden für einen nachhaltigen und lebenswerten Tourismus im deutsch-österreichischen Grenzraum und darum, sich noch stärker an den äußeren Einflüssen, etwa der Klimaerwärmung, zu orientieren.
Andere Alpenregionen machen das ebenfalls: Das Schneezentrum Tirol entwickelt mit Unternehmen und Forschungseinrichtungen innovative Produkte und Verfahren, um die Effizienz der Schneeproduktion und des Pistenmanagements zu steigern und zugleich den Ressourceneinsatz von Wasser und Energie zu verringern. Im Projekt „Beyond Snow“, das von der „Allianz in den Alpen“ mitgetragen wird, geht es im Kern darum, die Attraktivität für Einwohner und Touristen zu bewahren. Ziel ist eine Verbesserung der sozio-ökologischen Klimaresilienz von in mittleren und niedrigen Höhenlagen gelegenen kleinen Destinationen und Gemeinden, in denen der Wintertourismus im Fokus steht.
Die umfassende Vortragsreihe in Bad Hindelang wurde gezielt ergänzt durch verschiedene Exkursionen. In Balderschwang, der höchstgelegenen Gemeinde Deutschlands, informierten sich Teilnehmer über das „BeyondSnow-Projekt“, im Hintersteiner Tal von Bad Hindelang über die geologische und botanische Besonderheit der Buckelwiesen im Naturschutzgebiet „Allgäuer Hochalpen“, das mit Abstand größte Naturschutzgebiet im Regierungsbezirk Schwaben. Der Besuch der Bio-Sennalpe Mitterhaus gab einen Einblick in das Leben auf einer Alpe sowie der Wichtigkeit lokalspezifischer Produkte und dem immateriellen Kulturerbe der Alpwirtschaft als Teil eines authentischen touristischen Angebots.
Für ihre Fahrten zu Unterkünften und dem Tagungsort, dem Kurhaus, nutzten die Teilnehmer zahlreich„EMMI-MOBIL“. Mit dieser innovativen Mobilitätslösung leistet die Gemeinde seit Ende 2021 ihren Beitrag zur Klima- und Mobilitätswende. „EMMI-MOBIL“, das Bad Hindelang gemeinsam mit der WIIF GmbH entwickelt hat, stärkt nicht nur die Mobilität vor Ort, sondern bietet Gästen einen Anreiz, mit der Bahn anzureisen. Der „Ridepooling-Ansatz“ des Systems bietet für Bürger, Tages- und Übernachtungsgäste eine umweltverträgliche Alternative zum Individualverkehr und stellt eine Ergänzung zum ÖPNV dar. Die über die multimodale App gerufenen mit Strom betriebenen Kleinbusse bringen den Fahrgast zur nächstbesten ÖPNV-Haltestelle.
Als weitere kreative Konzepte wurden bei der Fachtagung die „Alpine Pearls“ mit ihrem Angebot „Urlaub ohne Auto“ genannt sowie die Initiative „Fahrtziel Natur“ der Deutschen Bahn in Kooperation mit dem BUND, VCD und NABU und das Mobilitätsangebot „Ruck Zug zu uns!“ im Skigebiet „Snow Space Salzburg“. Wer online ein Ski- oder Skitourenticket kauft, kann seine An- und Abreise über den Salzburger Verkehrsverbund kostenlos mitbuchen.